Yarmuk beschossen ! Drucken
Samstag, den 04. August 2012 um 15:54 Uhr

Von Karin Leukefeld / Damaskus

Bei zwei folgenschweren Granat­einschlägen im palästinensischen Wohnviertel von Yarmuk, einem Stadtteil von Damaskus, sind am Donnerstag abend 21 Menschen getötet worden. Der erste Einschlag ereignete sich kurz vor dem Fastenbrechen, gegen 20 Uhr nahe der Palästinastraße, im Grenzgebiet zwischen Muchayem und Tadamoun. Als Menschen hinzueilten, um Verletzten zu helfen und Tote zu bergen, schlug eine zweite Granate ein. Verwackelte Aufnahmen von Mobiltelefonen zeigen Trümmer, Staubwolken und irritiert umherlaufende Menschen am Ort des Geschehens.

Während der Opposition nahestehende Gruppen noch am Abend die syrische Armee für den Angriff verantwortlich machten, wurden auch Überlegungen laut, daß bewaffnete Gruppen aus den südlichen Außenbezirken das Viertel absichtlich beschossen haben könnten. Bei den Granaten könnte es sich aber auch um Irrläufer handeln. Den ganzen Tag war es zu Auseinandersetzungen zwischen bewaffneten Gruppen und der regulären Armee im angrenzenden Ortsteil Tadamoun gekommen. Von dort hatten die Angriffe auf Damaskus vor zwei Wochen ihren Anfang genommen.

Das einstige Zeltlager Yarmuk wurde 1948 für palästinensische Flüchtlinge errichtet. Heute ist daraus ein großer Wohnbezirk geworden, in dem rund eine Million Menschen leben. Nur rund 180000 von ihnen sind palästinensischer Herkunft, die Mehrheit der Einwohner sind Syrer, die aus verschiedenen Landesteilen nach Damaskus kamen und in Yarmuk bezahlbaren Wohnraum fanden. Die Palästinenser halten sich aus dem Konflikt in Syrien heraus, trotz Einschüchterung und Aufrufen zum Streik konnten bewaffnete Kämpfer oder die »Freie Syrische Armee« in dem Bezirk nicht Fuß fassen. Ihr Wohnviertel sei »eine Insel«, umgeben von Brennpunkten, sagte ein Gesprächspartner bei einem Besuch der Autorin dort am Mittwoch. Viele Menschen hatten hier sich in den letzten zwei Wochen vor Kämpfen in Midan, Tadamoun und Hajar Al-Aswat in Sicherheit gebracht. Der innersyrische Konflikt sei »nicht unser Kampf«, sagte Fahed Soliman von der Demokratischen Volksfront für die Befreiung Palästinas (DFLP) im Gespräch mit der Autorin in Damaskus. »Syrien hat uns aufgenommen und Rechte gegeben wie kein anderes arabisches Land.« Der Zivilbevölkerung helfen Palästinenser, wo sie können, ohne sich politisch einzumischen.

In anderen Teilen des Landes gingen Militäroperationen der Streitkräfte weiter. Syrische Medien berichteten von Kämpfen zwischen den Truppen und bewaffneten Aufständischen in Tall Kalach, an der Grenze zum Libanon, bei Deraa an der Grenze zu Jordanien, in der Umgebung und im Zentrum von Homs sowie im Norden des Landes in und um die Wirtschaftsmetropole Aleppo. Ein Einwohner Aleppos berichtete telefonisch, die Versorgungslage in der Stadt sei angespannt, Mobiltelefone und das Internet seien außer Betrieb, während die normalen Telefonnetze arbeiteten. In manchen Vierteln würden die Menschen von bewaffneten Kämpfern mit vorgehaltener Waffe gezwungen, ihre Wohnungen zu verlassen, in die sich dann Aufständische einquartieren.

Aus der Stadt Afrin nordwestlich von Aleppo hieß es von Bewohnern, die Preise für Zucker und Benzin seien sprungartig angestiegen. Da bewaffnete Aufständische unterschiedlicher Herkunft die Straße zwischen Aleppo und Afrin teilweise kontrollierten, kämen keine Benzinlieferungen durch. Die syrischen Behörden wollten vermeiden, daß die Tanklastwagen in die Hände der Aufständischen fallen. Das vorwiegend von Kurden bewohnte Afrin gehört zu sieben Städten im Norden des Landes, in denen den Kurden in den letzten Wochen von syrischen Behörden und dem Militär weitgehende Rechte eingeräumt wurden. So haben sie die Sicherung der Orte und der Verbindungsstraßen übernommen, teilweise werden die Verwaltungen von kurdischen Räten geführt, die der Kurdischen Demokratischen Partei, PYD, nahestehen. Diese gehört dem Bündnis des Nationalen Koordinierungsbüros für demokratischen Wandel (NCB) an, das sich gegen eine Militarisierung des Konflikts und für eine politische Lösung ausspricht.

 

Quelle : JW

Zuletzt aktualisiert am Samstag, den 04. August 2012 um 16:15 Uhr