Die Entfremdung der Integrationsdebatte PDF Drucken E-Mail
Freitag, den 21. Januar 2011 um 23:26 Uhr

Berlin [ENA] Welche Messlatte sollten Immigranten überspringen, um von sich behaupten zu können, in der deutschen Gesellschaft integriert zu sein? Handelt es sich bei der derzeitigen Integrationsdebatte wirklich um eine Diskussion um die Integration, oder ist es mehr eine Diskussion um die Angst vor einer Überfremdung der Gesellschaft und eine Veränderung der demographischen Strukturen des Abendlande

In den letzten Jahren, aber insbesondere seit der Veröffentlichung von Thilo Sarrazins Buch ist das Wort Integration ein Schlagwort, das alle Schichten der Gesellschaft, Deutsche und Immigranten, gleichermaβen aufgeschreckt hat. Was verstehen die, die nach Integration schreien unter Integration? Der Satz, der von der Politik kommt, heisst: „Die hier lebenden Immigranten sollten sich besser integrieren“. Ist dies etwa der Fall, wenn er Mesut Özil heisst, in der deutschen Nationalmanschaft spielt, sich mit einem Akzent auf Deutsch unterhalten kann und einen Bambi überreicht bekommt, um sagen zu können, ich bin integriert?

Was genau erwarten wir oder besser die deutsche Gesellschaft oder ganz einfach die Deutschen von den Immigranten? Sollten diese die deutsche Sprache gut beherrschen, in Deutschland einer Arbeit nachgehen und sich mit der deutschen Geschichte und der deutschen Kultur auskennen? Aber was ist diese deutsche Geschichte und diese deutsche Kultur, von vielen auch als die deutsche Leitkultur bezeichnet, womit sich Immigranten auskennen sollten und woraus besteht sie?

Sollte der Immigrant wissen welche Bedeutung die Ausrufung des Deutschen Reiches 1871 im Spiegelsaal von Versailles in Paris für Europa hatte, oder wann und wie die Gründung der Weimarer Repulik zustand kam, oder vielleicht auch wer König Ludiwig II von Bayern war und die Umstände seines Todes kennen? Muss dieser wissen wer Hegel, Schelling, Fichte, Nietzsche und andere deutsche Philosophen waren und welche Bedeutung sie für Europa hatten? Reicht es, dass ein Immigrant sich auf Deutsch verständigen kann und seiner täglichen Arbeit nachgeht, oder muss dieser immer grammatisch fehlerfrei sprechen können?

Ist der türkische Gemüsehandler, der sich sehr schlecht auf Deutsch äuβern kann, aber seit 30 Jahren in Deutschland lebt und immer seine Steuern bezahlt und nie auf Sozialleistungen zurückgreifen musste, ein nicht integrierter Immigrant? Lebt dieser Gemüsehändler noch dazu in einer sogennanten „Parallelgesellschaft“, da er fünfmal am Tag betet, seine Frau und seine Töchter ein Kopftuch tragen und sein Freundenkreis aus der Türkei stammt?

Ist ein Immigrant, welcher die deutsche Staatsangehörigkeit erwirbt und den Test besteht, ein integrierter Immigrant? Was ist, wenn dieser seine Arbeit verliert, auf einmal auf Hartz IV angewiesen ist und sich dazu herausstellt, dass dieser ein religiöses Individum mit konservativer Wertaufassung ist? Wird dieser plötzlich von der Gesellschaft als ein nicht integrierter Immigrant angesehen?

Schauen wir über die Grenzen Deutschlands hinaus in die USA, die in der Politik als ein negatives Beispiel hervorgehoben werden und es wird gesagt „wir wollen keine Parallelgesellschaften“. Nun, es stellt sich die Frage, ist der Hispano-Amerikaner, der in Washington Heights lebt, einem Stadtteil von New York City, wo in Resturants und Einkaufsgeschäften fast nur Spanisch gesprochen wird, der einer einfachen Arbeit in der Gastronomie nachgeht und damit seine Familie über Wasser hält, seit 30 Jahren und mehr in New York City lebt, abends nur Spanisch sprechende Fernsehkanäle anschaut, nicht auf Sozialleistungen angewiesen ist und immer demokratisch wählt, ein integrierter oder ein nicht integrierter amerikanischer Immigrant?

Was ist mit den ganzen Europäern, die in Dubai leben und arbeiten. Ist eine Norwegerin, die seit 8 Jahren in Dubai lebt und arbeitet, die kein Wort Arabisch spricht und nur Englisch auf der Arbeit, keine Kontakte zu Einheimischen hat, eine Einladung zu einer Hochzeit einer Emiratie ablehnt, weil ihr die Traditionen und Bräuche dieser Menschen fremd erscheinen, nach Feierabend sich in einer der lokalen Bars in einem fünf Sternehotel aufhält, weil diese eine Lizenz für Alkoholverkauf haben und zu Hause nur Fernsehsendungen aus den europäischen und amerikanischen Raum anschaut, eine nicht integrierte oder eine integrierte Immigrantin in Dubai? Oder würde in Deutschland in ihrem Fall überhaupt jemand die Frage der Integration stellen?

Ist der in Berlin, in zweiter Generation geborene Jugendliche mit arabischen Wurzeln, der keinen Schulabschluss hat, Hartz IV empfängt und noch dazu einen Eintrag im polizeilichen Register hat, ein nicht integrierter Immigrant? Was ist mit dem deutschen Jugendlichen, der keinen Schulabschluss hat, keine Ausbildung hat, Hartz IV bekommt und dazu noch neonazistisches Gedankengut in sich trägt und die deutsche Demoraktie und das Grundgesetz verneint? Was ist mit dem deutschen Jugendlichen der extrem linkes Gedankengut in sich trägt und jedes Jahr regelmäβig im Schanzenviertel in Hamburg und am Tag der Arbeit in Berlin an Krawallen teilnimmt, Autos in Brand setzt und Scheiben einschlägt? Können diese als gesellschaftlich integriert angesehn werden?

Handelt sich bei der Diskussion in Deutschland wirklich um eine Frage der Integration vom Immigranten oder ist es mehr eine Diskussion um die Angst vor dem Fremden, dem Anderssein, der Überfremdung, der Veränderung der demographischen Strukturen der Gesellschaft in Deutschland und Europa, das sich hinter dem Schlagwort Integration versteckt? Eine Veränderung der demographischen Strukturen der Gesellschaft, die sich in dieser Form, seit der Völkerwanderung der germanischen Stämme zwischen dem vierten und siebten Jahrhundert n. Chr. , der Eroberung Spaniens duch die Mauren im 800 Jarhundert n. Chr. und der Unterwerfung groβer Teil Osteuropas durch das Osmanische Reich nicht abgespielt hat.

Was diese Veränderung für viele, die Angst davor haben, am meisten gefährlich macht, ist ihre friedliche Form. Ohne einen Krieg, ohne Veränderung der Grenzen findet eine Veränderung der demograhischen Strukturen statt. Sollten die Menschen in Deutschland vor dieser demographischen Veränderung wirklich Angst haben? Thilo Sarrazin entwirft die These: „Deutschland schafft sich ab“. In einer gewissen Weise hat er Recht, aber ist es wirklich so wie er es ausdrückt? Kann eine Gesellschaft aussterben, ohne es zu merken?

Wie schon gesagt, in einer gewissen Form hat er Recht. Das Deutschland der Gegenwart ist nicht das Deutschland vor 100 Jahren und das Deutschland in 100 Jahren wird nicht so sein wie das Deutschland der Gegenwart. Heisst dies aber wiederum, dass die Deutschen davor Angst haben sollten? Ist es so wie eine deutsche Ministerin zu Protokoll gab, „dass Deutsche Angst haben sollten in ihrem eingenen Land gemobbt zu werden“, wie es zur Zeit in einigen deutschen Schulen der Fall sei oder „ein deutsches Mädchen, wie bei ihr der Fall war, als deutsche Hure beschimpft wurde“. Würde es vielleicht angebracht sein, dass im Streit ein Immigrantenjunge ein deutsches Mädchen als Hure beschimpft, aber auf keinen Fall als deutsche Hure?

Hat die Ministerin die Vorstellung, wenn dieser Junge sich mehr Mühe geben würden sich zu integrieren, dann im Streit, oder nach einer enttäuschten Beziehung das Mädchen „nur“ noch als eine „Hure“ bezeichnet und nicht als eine „deutsche Hure“? Um die Frage, was ist Integration, in unsere Zeit, einigermaβen gerecht beantworten zu können, wäre es wichtig zu vestehen, das Integration keine Einbahnstraβe ist. Jemand der dazu gehören will, kann nur dazu gehören wenn er oder sie auch von der Gesellschaft, der Gruppe oder der Clique, mit offenen Armen angenommen wird. Ein Integrieren ist nicht möglich, wenn die auf Integration aufschreiende Gesellschaft sich nicht öffnet.

Wo sollte die Latte für die Integration angelegt werden? Sollten nicht Immigranten, die die bestehenden politischen und gesellschaftlichen Strukturen in Deutschland anerkennen und respektieren, einigermaβen die Sprache des Landes verstehen, ihre Kinder zur Schule schicken und versuchen, ihren Lebensunterhalt für sich und ihre Familien zu verschaffen und gleichzeitig versuchen, soweit es in ihrem persönlichen Belieben liegt, die kulturellen und religiösen Aspekte ihres Herkunftslandes fortzuführen ohne die bestehenden politischen und gesellschaftlichen Strukturen in Deutschland zu stören, als integriert gelten? Dies mit der Voraussetzung, dass die Gesellschaft ihre Bräuche und kulturelle Aspekte respektiert.

Unter den jugendlichen Immigranten sind mehr Personen ohne abgeschlossenen Schul- und Berufsausbildung vorhanden und mehr Jugendliche mit einer Vorstrafe, was viele soziale Gründe hat. Ist daraus die Schlussfolgerung zu ziehen, dass alle Immigranten nicht integrationsfähig sind, wobei in Deutschland meistens ohne es auszuprechen, fälschlicherweise, in der gegenwärtigen Debatte von Türken und Arabern gesprochen wird, und z.B. italienische oder aus dem ehmaligen Jugoslawien stammende Jugendliche nicht einbezogen werden. Hier ist es die Aufgabe des Staates, diesen Jugendlichen zu helfen eine Persperktive zu finden, denn am Ende wird die Gesellschaft von integrierten und produktiven Immigranten profitieren.

Um am Ende nochmal auf die Aussage von Thilo Sarrazin zurückzukommen, der als Beispiel seiner These „Deutschland schaft sich ab“ den Fall Kosovo herbeiführt. Kosovo, ein Land in dem vor Jahrhunderten ursprünglich die Serben die Mehrheit der Bevölkerung bildeten. Im Laufe der Jahrhunderte und zum Teil bedingt durch die Besetzung der Region durch das Osmanische Reich ändert sich die Demographie des Landes, in dem die Serben zum Teil die Region verliessen und die Kosovo-Albaner durch eine erhöhte Geburtenrate nun die Mehrheit im Land bilden.

Betrachten wir die Geburtenrate z.B. in einem Berliner Krankenhaus auf einer Entbindungstation. Dort ist festzustellen, dass jeder auf der Patientenliste genauer nachschauen muss, um diejenigen Frauen zu finden, die Deutsche ohne Immigrationshintergrund sind. Dies sollte weder als negativ noch als beängstigend angesehen werden, solange diese Kinder einmal ein produktiver Teil der Gesellschaft werden, denn das Rad der Geschichte kann niemand aufhalten, nicht einmal Herr Sarazzin.

 

Quelle: ENA

Zuletzt aktualisiert am Mittwoch, den 26. Januar 2011 um 11:04 Uhr
 

Kommentare  

 
0 #1 Awadalla Galal Mag. 2011-01-27 15:17
Eigentich wir sind überfordert mit den Meßlatten. Dadrunter sind manche die ihren wurzeln bereits über 40 J. in BRD reichen, jetzt ist zu spät für eine Integration.
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