Die Revolution wird kalt - nur Qatar zahlt PDF Drucken E-Mail
Mittwoch, den 29. Juni 2011 um 18:23 Uhr

Solche Szenen erzeugen Sympathie für die Sache der Rebellen, verstärken das Bild von Davids Kampf gegen Goliath. Doch das Schauspiel hat etwas Kulissenhaftes. Man wird das Gefühl nicht los, dass die wahre Geschichte sich im Verborgenen abspielt.

Es gibt in Bengasi überall einen Widerspruch zwischen Schein und Sein, doch ist er kaum klar zu identifizieren – man ahnt ihn nur wie eine im Nebel verborgene Klippe. Die Gefahr, dass das neue Libyen daran zerschellen könnte, ist sehr real. Da tritt zum Beispiel Ali Abdussalam Tarhouni, der Finanzminister des Übergangsrates, vor die Presse und sagt: »Wir haben viele Konten, aber kein Geld, absolut kein Geld. Alle Konten sind leer!« Aber es gibt doch die Libyen-Kontaktgruppe, bestehend aus UN, EU, USA und zahlreichen anderen Regierungen, die Hunderte Millionen Dollar versprochen hat. »Versprochen!«, antwortet Tarhouni, ein 60-jähriger Ökonom, der bis vor ein paar Monaten noch in den USA über Wertpapiermärkte geforscht hat. »Ich kann nur wiederholen: Auch dieses Konto ist leer!«

Bloß scheint in den Straßen von Bengasi nirgendwo Mangel an Geld zu herrschen, die Gehälter der Regierungsbeamten werden ausbezahlt, viele Banken haben ihre Tore geöffnet, lange Menschenschlangen bilden sich davor. »Qatar«, sagt Tarhouni. »Nur unsere Freunde aus Qatar helfen und zahlen. Wenn es sie nicht gäbe, dann wären wir in echten Schwierigkeiten!« Die westlichen Diplomaten bestätigen, dass das Emirat in Libyen eine große Rolle spielt und sich uneingeschränkt hinter die Sache der Rebellen gestellt hat. Dass die westlichen Mächte zwar militärisch intervenieren, aber kein Geld lockermachen, kommentiert ein westlicher Diplomat im gräulichen Licht des Hotels Tibesti kurz und knapp: »Bomben werfen ist ein Geschäft, Geld geben ist zunächst mal keines.«

Es ist eine ernüchternde Lektion, welche die Menschen in Bengasi nun, nach der Begeisterung über die libysche Revolution, lernen müssen: Jede ausländische Macht schaut auf Libyen mit anderen Augen, und sie verfolgen oft konkurrierende Interessen. Tarhouni benutzt die ausländischen Reporter, um Botschaften an die jeweiligen Regierungen zu senden. Als eine chinesische Journalistin nach der Zukunft der vielen chinesischen Firmen fragt, die in Libyen vor dem Krieg investiert hätten, antwortet er pflichtschuldig: »Wir garantieren die Einhaltung aller Verträge.« Dann setzt er eine Warnung hinzu: »Aber es gibt immer noch Regierungen, die darauf spekulieren, dass Gadhafi den Krieg gewinnt. Ich kann Ihnen sagen: Er wird ihn nicht gewinnen! Und wer das glaubt, den brauchen wir nicht.«

Peking ist nicht der einzige kühl kalkulierende Akteur. Frankreich, Italien, England, China, die USA – ja selbst das interventionsunwillige Deutschland ist hier mit einem diplomatischen Verbindungsmann präsent. Libyen ist wichtig, vor allem für die Europäer, wegen seiner geografischen Nähe, wegen seiner Ressourcen und als Mauer gegen Immigranten aus Afrika. Gadhafi lieferte Öl und Gas und ließ sich als gnadenloser Türsteher Europas umwerben. Die Frage ist: Wer wird in Zukunft diese Rolle ausfüllen, und wie wird er sie ausfüllen? Denn auch nach der Intervention bleibt Libyen, was es ist: ein riesiges, ressourcenreiches Land an der Grenze Europas.

In Bengasi liegt in diesen Tagen etwas Lauerndes in der Luft. Jeder scheint den anderen mit einer gehörigen Portion Skepsis abzutasten. Die meisten ausländischen Diplomaten trauen den Rebellen noch nicht zu, ihre vielen gewaltigen Aufgaben zu bewältigen: den Krieg gegen Gadhafi gewinnen, das Land stabilisieren, die Ölexporte wieder in Gang bringen, die durch die Revolution geweckten Hoffnungen der Libyer befriedigen. Und die Vertreter der Rebellen sind sich der Interessen der Interventionsmächte bewusst, sie bleiben bei aller Dankbarkeit misstrauisch. Dabei spielt die Zeit gegen sie – mit jedem Tag, an dem es keine klare Entscheidung an der Front gibt, werden die anderen Probleme umso dringlicher: die angemessene Versorgung der Bevölkerung, die Erhaltung der Infrastruktur, der Aufbau einer neuen Verwaltung für dieses seltsame Gebilde, das kein Staat ist und auch keiner sein will.

Muammar al-Gadhafis Tage an der Macht mögen gezählt sein, und nach Bengasi wird er nie wieder zurückkommen. Doch damit ist die Revolution noch lange nicht gesichert. Getragen vom Freiheitswillen der Libyer, wird sie Tag für Tag vom kalten Licht der Interessenpolitik entzaubert.

 

 

Quelle:ZEIT ONLINE

 

Zuletzt aktualisiert am Mittwoch, den 29. Juni 2011 um 18:29 Uhr